AR Gais Restaurant Truube
Inmitten der Wiesenlandschaft des Appenzellerlandes liegt das Dorf Gais zwischen dem Gäbris und Hirschberg in einer Hochebene auf etwa 900 Meter über Meer. Eingebettet in die weitläufige Hügellandschaft des Appenzellerlandes ist die Nähe zur Natur in Gais allgegenwärtig spür- und erlebbar. Imposant eröffnet sich der Blick auf das Alpsteinmassiv im Süden.
In einem Appenzellerhaus aus dem 18. Jahrhundert, ausserhalb des Dorfkerns, befindet sich das Restaurant Truube. Das Lokal mit blumengeschmückter Fassade ist sehenswert. Die Gaststube ist stilvoll eingerichtet. Die weissen Wände und die braune Holzschallwand erinnern an die einstige Dorfbeiz, während die hellen Tischtücher und eine dezente Deko schlichte Eleganz verströmen. Behaglich und heimelig soll sich der Gast hier fühlen.
Silvia Manser zeichnet hier für die kulinarischen Geschicke verantwortlich. Seit 2001 steht sie am Herd und verwöhnt ihre Gäste mit bodenständigen Gourmetgerichten. Diese basieren auf erstklassigen lokalen Produkten. Manser wuchs hier als Tochter eines Wirtepaares auf. Ihre Mutter führte die Truube als Quartierbeiz. Schon früh schaute Silvia in deren Kochtöpfe. Mit ihrem damaligen Lieblingsessen «Tomatenspaghetti» machte sie im Kindesalter die ersten Gehversuche am Herd. Der Grundstein ihrer späteren Erfolgsgeschichte war gelegt.
1990 erlernte die Appenzellerin im Restaurant Sonne in Urnäsch das Kochen. Nach absolvierter Hotelfachschule in Luzern führten sie Praktika in die Küchen von Adolf Blokbergen (Cully) und Roland Jöhri (St. Moritz). Nach Aufenthalten in Kanada und USA kehrte sie 2001 in den elterlichen Betrieb zurück. Ihren Ehemann Thomas hat sie beim Dorffest während des Essens kennengelernt. Heute leitet er das Restaurant und berät die Gäste bei der Weinauswahl. «Die passenden Weine zu den Gerichten meiner Frau auszuwählen, ist eine Herausforderung. Entscheidend ist, dass die Weine ausgewogen und elegant sind.» Die Schwerpunkte der Gewächse liegen auf der Schweiz, Frankreich, Österreich und Italien, insbesondere dem Piemont. «Gastronomie ist anspruchsvoll und hart. Die Arbeitszeiten sind lang und unbequem. Beruf und Familie zu vereinen, ist als Köchin nicht einfach», antwortet Silvia Manser auf die Frage, weshalb es nur wenigen Frauen gelingt, in diesem Beruf erfolgreich sein zu können. «Als mein Mann und ich unser Lokal aufbauten und viel arbeiten mussten, hat meine Mutter nach unseren drei Kindern geschaut.»
In ihrem Restaurant lässt Silvia Manser geschickt in bodenständige Produkte und Zubereitungen exotische Noten einfliessen. Sie schöpft aus dem Fundus erstklassiger Lebensmittel aus der Region. Fleisch bezieht die Appenzellerin ausschliesslich aus der Region. Tobias Koster setzt mit seiner Streichelfarm auf Mutterkuhhaltung und füttert seine Tiere ausschliesslich mit Erzeugnissen aus eigenem Anbau. Philip Fässler schlachtet Kosters Rinder im nahegelegenen Appenzell. Ebenfalls aus der Nähe stammen die Milch- und Käseprodukte. Neben dem Gaiser Bergkäse hat es ihr vor allem der Jersey Blue von Willi Schmid aus dem Toggenburg angetan.
Der Blauschimmelkäse aus Milch von Jersey-Kühen wurde mehrfach ausgezeichnet. Für Silvia Manser stellt Schmid exklusiv einen Ricotta her. Der Käser stellt zudem aus Jersey-Milch Butter her: «Mir hat es der Grind nicht zugelassen, französische Butter zu essen.»
Ich setze auf Slow-Cooking Silvia Manser
Silvia Manser steht begeistert am Herd. Saucen, Suppen und Schaum gibt sie die nötige Zeit, bis sie reduziert und perfekt sind. Ihre Gerichte brauchen kein Chichi, jedoch feinste Aromatik und Gewürze. Manser experimentiert gerne und werkelt stets an neuen Kreationen. In ihren Gerichten verbindet sie klassische, ehrliche Küche mit überraschend modernen Variationen. Ohne jedem Trend hinterher zu laufen. Sie bleibt dabei neugierig und vermag ihre Küche weiter spannend zu akzentuieren. Inspirieren lässt sie sich dabei von der Natur und ihrem alten, handgeschriebenen Rezeptbuch. Oder wie die Appenzeller Köchin es nennt: ihrer «kulinarischen Fibel». In ihrer Küche bildet die Appenzellerin drei Lehrlinge aus. Die Lehrstellen müssen nie inseriert werden. «Mir liegt der Nachwuchs am Herzen. Ich teile gerne meine Erfahrungen und trage damit dazu bei, die Qualität der Gastronomie hochzuhalten. Ich möchte den jungen Köchinnen und Köchen ein positives Berufsbild mitgeben.» Die Faszination am Beruf soll durch positive Emotionen wie beispielsweise dem Gästekontakt geweckt werden. Die Lernenden servieren etwa den Gruss aus der Küche selbst. So bekommen sie die Begeisterung der Gäste mit. Für Gault & Millau ist Silvia Mansers Küchenschaffen seit 2022 17 Punkte wert. Sie wird zudem als Aufsteigerin des Jahres 2023 gewürdigt. Im Guide Michelin steht sie seit 2014 mit einem Stern zu Buche, während sie im Falstaff 2019 zur Wirtin des Jahres gekürt wurde. Der Guide Michelin schreibt: «Das schöne alte Appenzeller-Haus (18. Jahrhundert) – ehemals ein Geheimtipp – erfreut sich grosser überregionaler Beliebtheit. Grund ist eine saisonale Küche, die mit Geradlinigkeit, Eleganz und Ausdruck überzeugt.»
Der Teller soll wie ein Bild daherkommen Silvia Manser
Leidenschaftonline.ch darf in der Truube Gais zu Gast sein. Wir werden mit einem Apéro-Plättchen willkommen geheissen. Zum Champagner wird ein Tortillachip mit Falafel und Avocadopüree sowie ein Vanille Macaron mit eingelegtem Sellerie und Apfel serviert. «Die Käse-Lauch-Quiche ist sehr beliebt. Sie darf keinesfalls fehlen», sagt Silvia Manser. Das Rezept dafür besteht aus nur drei Zutaten, einem Teig, etwas gedünstetem Gemüse (Lauch und Zwiebeln) sowie einer Käse-Eimischung als Guss. Etwas Geduld verlangt einem der geriebene Teig ab. Dieser sollte von Hand gemacht werden. Das zweite Amuse-Bouche fordert unsere Geschmacksnerven.
Caramelisierter Appenzeller Ziegenfrischkäse mit eingelegten Wassermelonenkügelchen sowie aufgepoppten Reiskörnern. Das Fischgericht krönt ein kurzgebratener Thunfisch mit Kaviar, platziert auf geräuchtem Forellenschaum mit kleingeschnittenem Kartoffelsalat.
Die Aromen sind ausgewogen, die feine Säure regt den Appetit an. Dem Brot wird viel Aufmerksamkeit gewidmet. Es wird als eigener Gang serviert. Dazu wird etwas mit Orangen-Butter gereicht. Ein schöner Start ins Menü. Rehterrine, Kumquatchutney, eingelegte Kumquats, Preiselbeergel, Pumpernickelglacé, Frisée geht einer Zitronengras-Ingwersuppe mit Jakobsmuschel im Panko und Chinakohl voraus. Das Zitronengras verleiht der Suppe eine exzellente Säure.
Der Zander im nächsten Gang stammt aus Schweizer Zucht. Er ist perfekt gebraten. Das auf der Haut kross gebratene Filet aus dem Lago Maggiore kombinierte die Chefin raffiniert mit lauwarmem, rohem Randensalat, Korallen mit Erbsen-Wasabi-Purée, eingelegten Randen und Meerrettichschaum. Ein Gedicht nur schon beim Anschauen. Geschmacklich und in Textur sehr spannend entpuppt sich die offene Pasta mit knusprigem Eigelb, Spinat und Speckschaum. Dieser Teller findet grossen Anklang. Der Hauptgang wird gleich doppelt serviert. Einmal das Rindsfilet mit rosa Pfeffercrunch begleitet von Dauphinkartoffeln, Pastinakenwürfel und -püree, Rotkohlchips und Flower sprouts. Auf dem zweiten Teller liegen ein geschmorenes Kalbsbäggli, Gnocchi parisienne, Süsskartoffelpurée, Flower sprouts, eingelegten Zwiebeln mit Schmorsauce und roter Pfeffersauce. Silvia Manser dazu: «Ich achte darauf, dass die Lehrlinge klassische Zubereitungen wie das Schmoren beherrschen». Dieser Gang eignet sehr bestens für die Ausbildung. Das Vordessert bestand aus leicht caramelisierter Banane, Malibugelée mit Kokoscrumble und Schoggi-Ingwersorbet. Vielfältig kommt die Käsevariante von Willi Schmid mit Panforte daher. Bergfichte (Weichkäse), weissem Büffel (Halbhartkäse aus Büffelmilch mit schwarzem Trüffel), dem weltbekannte Jersey Blue und der hölzigen Geiss (Ziegenweichkäse). Der süsse Abschluss bildet die Birne umgeben von Felchlin Schokolade mit Zitronenthymian (verschiedene Formen und Texturen). Zum Café wird eine Platte mit Schlorzifladen, Brownie und Grannysmith-Mousse (unten klarer Apfelgelée und ein knuspriges Schoggibödeli) gereicht.
Durch die Gerichte zieht sich wie ein roter Faden eine wohl dosierte exotische Note. Silvia Manser verbindet die klassische Küche mit überraschenden modernen Variationen. Jeunes Restaurateurs d’Europe lobt die Appenzellerin: «Kulinarisches Können, kombiniert mit Leidenschaft und lokalen Produkten; innovative Kochkunst, ohne das kulinarische Erbe aus den Augen zu verlieren.»
Interview mit Silvia Manser
Nachdem Silvia Manser uns Einblicke in ihre kreative Art des Kochens gewährte, durfte sich Leidenschaftonline.ch mit der Chefin unterhalten:
Was fasziniert Sie am Kochen?
Aus einem Lebensmittel stets Neues zu kreieren, fasziniert mich. Dazu tragen auch neue Techniken bei, die in den vergangenen Jahren die Küche stark beeinflusst haben. Methoden wie das Einmachen haben ebenfalls wieder an Bedeutung gewonnen.
Welches Konzept verfolgen Sie mit Ihrer Küche? Wie bezeichnen Sie Ihren Kochstil?
Mein Kochstil ist die klassische, bodenständige Gourmetküche, wobei ich gegenüber Neuem stets offen bin. Die Gerichte basieren auf erstklassigen Produkten aus der Region. Uns ist es wichtig, möglichst alles selbst zuzubereiten – kreativ und einfallsreich. Wir leben inmitten einer wunderbaren Natur mit hervorragenden Produkten. Diese Produkte vereinen wir mit vielfältigen Köstlichkeiten aus aller Welt. Bei unseren Tellern sieht der Gast das Produkt in seiner ursprünglichen Form. Aktuell bieten wir ein vegetarisches und ein Fleischmenü an.
Bei mir sehen die Gerichte einfach aus, schmecken jedoch umso besser Silvia Manser
Wie gehen Sie bei der Ausarbeitung eines neuen Menüs vor?
Alle sechs Wochen kreieren wir eine neue Menükarte, angepasst an die Saison. Aus dem aktuellen 7-Gänger sind dies das Schweizer Weidelamm, Bärlauchgnocchi, Sellerie, Champigons, Radieschen oder ein Ribelmais Poulet «Coq au vin», Karoffelpüree, Perlzwiebeln, Kürbis, Mönchsbart. Für die Entwicklung eines Menüs achte ich primär, was geschmacklich harmoniert. Ich starte mit den kalten Vorspeisen und baue darauf auf. Wobei meine Passion bei den Vorspeisen und den Desserts liegt. Wichtig ist mir auch, dass die Hauptzutaten (Fleisch und Gemüse) möglichst aus der Schweiz stammen. Da wir nur noch zwei Menüs anbieten, hat sich der Bedarf an Fleisch und Fisch massiv verringert. Alle Mitarbeitenden, auch die Lernenden, sollen sich in den neuen Kreationen einbringen. Dabei ist schön zu sehen, wie sich die Auszubildenden während den drei Lehrjahren kreativ entwickeln.
«Bei neuen Gerichten achte ich auf Süsse, Säure und Schärfe und bitte Silvia manchmal etwas anzupassen, damit der Wein besser passt», ergänzt Thomas Manser. «Die Harmonie zwischen Speisen und Weinbegleitung zu finden, birgt ab und an leises Konfliktpotential. Silvias Gerichte haben oft eine feine, fruchtbetonte Säurenote, dazu dürfen wir die Weine nicht zu fett sein. Mein Wissen als Sommelier ist bei der Feinabstimmung zwischen Gerichten und Getränken sehr hilfreich.»
Welchen Werdegang haben Sie beschritten?
Nach meiner Lehre verbrachte ich drei Saisons im Engadin bei Roland Jöhri im Talvo St. Moritz. Das war eine unvergessliche Zeit. Eine sehr strenge Zeit. Unsere dynamische und unternehmensfreudige Truppe, liess auch in stressigen Situationen den anständigen Ton und den kollegialen Umgang nicht missen. Danach zog es mich weiter in die Westschweiz zur damals mit 18 Gault Millau-Punkten ausgezeichneten Küche der Auberge du Raison von Adolf Blokbergen. Seine Anrichteweise war für die damalige Zeit sehr modern. Von Adolf Blokbergen habe ich eine grosse Portion Lockerheit in der Küche mitgenommen. Nach einem Jahr in Cully und Praktikas in der Hotelfachschule Luzern zog es mich zweimal für ein paar Monate nach Kanada. Dann begegnete ich meinem späteren Ehemann Thomas.
2001 machten wir uns mit dem Restaurant Truube selbständig. Zu Beginn völlig naiv, hat sich dieser Schritt als richtig erwiesen. Mit Höhen und Tiefen haben wir uns die Lorbeeren erarbeitet.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Luxusprodukten in der Küche?
Wir verwenden nur wenige Luxusprodukte. Ab und zu Hummer, sehr selten Kaviar und auf Wunsch Gänseleber. Ich finde es spannender aus einfachen Zutaten etwas Lässiges zu machen.
Wohin geht die kulinarische Reise von morgen? Und wie stehen Sie Trends gegenüber?
Ich denke und hoffe, dass die Gäste bewusster essen. Bei uns geht der Trend sicherlich hin zu mehr Gemüse, schweizerisch und saisonal. Zwar brauchen wir auch Fleisch, jedoch nicht mehr in den Mengen wie noch vor Jahren. Die Gäste, welche ein einfaches Stück Fleisch, gut geschmort, als Filet oder Steak wünschen, wird es immer geben. Ich koche stets das, was ich selber gerne mag und springe nicht auf jeden Trend auf. Der Geschmack ist mir dabei zentral.
Mit 17 Gault Millau-Punkten und einem Michelinstern zählen Sie zu den besten Köchen des Landes. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen? Und wie entscheidend sind diese für Ihre Gäste?
Seit 2014 sind wir mit einem Stern ausgezeichnet und im Jahr 2023 wurde der Betrieb zum Aufsteiger des Jahres mit 17 Gault Millau-Punkten geehrt. Natürlich bin ich sehr stolz auf diese Auszeichnungen, welche unseren Teamgeist spiegeln. Für mich ist es eine grosse Anerkennung unserer täglichen Arbeit und motiviert zusätzlich weiterhin täglich das Beste für unsere Gäste zu geben.
Sterne und Punkte waren nicht Teil unseres Planes. Wir wollten eine gute Küche anbieten und begannen mit einem Zürcher Geschnetzelten und Eglifilets. Ich konnte mich in Ruhe entwickeln und meinen eigenen Kochstil finden. Rückblickend bin ich sehr froh, dass ich sanft beginnen konnte.
Was möchten Sie Ihren Gästen auf Ihren Tellern erzählen?
Wir möchten ein schönes Esserlebnis bieten. Das Gericht soll den Appetit anregen und neugierig machen. Ein Teller soll wie ein Bild daherkommen. Vergleichbar mit Kunst. Es gibt verschiedene Stilrichtungen, die eine ist klassisch, andere modern wie andere freakig… So findet jeder Gast seine bevorzugte Küche.
Wirtschaftlichkeit in der Küche. Welche ökonomischen Ziele müssen Sie bei Ihrer Arbeit erfüllen?
Seit 2001 sind wir selbständig erfolgreich unterwegs. Die Grundvoraussetzung dafür bildet der rentable Betrieb. Wir achten darauf, kostenbewusst einzukaufen. Abschnitte oder Reste, welche beim Rüsten entstehen, verarbeiten wir weiter. Ein weiterer Faktor sind die Personalkosten. Wir können nicht nach Lust und Laune Personal beschäftigen.
Welches sind Ihre Ziele und welches Ihre Visionen?
Wir möchten weiterhin auf diesem Niveau unsere Gäste verwöhnen dürfen. Wichtig ist mir auch die Arbeit mit jungen Leuten. Ich möchte den jungen Köchen ein positives Berufsbild vermitteln und ihnen die Freude am Kochen weitergeben. Im Gegenzug profitiere ich von den Ideen der Jungen und bleibe so à jour.
Silvia Manser hat das geschafft, von dem ihre Berufskolleginnen und -kollegen nur zu träumen wagen. Silvia Manser ist neben Tanja Grandits eine der bekanntesten Köchinnen in der Schweiz. Ihre Küche stützt sich auf exzellente regionale Zutaten. Eine Reise nach Gais lohnt sich.