Bruchlandung auf Wolke 7

Mina Teichert

978-3-95910-207-0

Bruchlandung auf Wolke 7

AD(H)S ist eines der bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten auftretenden Krankheitsbilder. Es besteht bis ins Erwachsenenalter fort, anstatt sich – wie oft irrtümlich angenommen – auszuwachsen. Bedingt durch Reizoffenheit, Unruhe und Konzentrationsprobleme, leiden Menschen mit AD(H)S meist an einer Störung der Selbstkontrolle und -regulation. Für sich angemessen zu sorgen, selbstverantwortlich zu handeln, und nicht zu viel oder zu wenig zu sagen, ist oft schwierig und führt zu merklichen Beeinträchtigungen im Leben.

Mina Teichert bekam ihre Diagnose erst mit Mitte zwanzig und fragte sich bis dahin oft, warum sie keinen passenden Platz in der Gesellschaft fand. Sie hopste beständig einen ziemlich steinigen Pfad entlang, bei dem sie immer wieder aus der Bahn geworfen wurde, weil sie den ganzen Reizen der Umwelt und den Anforderungen, die an sie gestellt wurden, nicht gewachsen war. Und gerade, wenn die Hormone ins Spiel kommen, wird es verrückt – der Kontrollverlust ist vorprogrammiert, was so manchen potenziellen Partner überfordern kann. Denn sich von einem AD(H)Sler zu wünschen, er solle doch bitte nicht so vergesslich, zerstreut oder emotional sein, ist in etwa so sinnvoll, als würde man einen Allergiker bitten, bei Pollenflug endlich nicht mehr so laut rumzuniesen.

 

Mina Teichert widmet sich deshalb in ihrem neuen Buch dem Thema Liebe. Sie schildert humorvoll und liebenswert ihre eigenen Berg- und Talfahrten, lässt kein Fettnäpfchen aus und befindet sich immer wieder im freien Fall. Dumme Kuh sei Dank gibt es aber auch für Mina ein Happy End. Auf ihre chaotische, witzige, aber auch sehr berührende Weise beweist sie in «Bruchlandung auf Wolke 7», dass Liebe alles kann und gibt zusätzlich noch Tipps für verliebte Betroffene.

Interview mit Mina Teichert

ADS wurde bei dir erst mit Mitte 20 diagnostiziert. Wie hast du die Zeit in «Unwissenheit» bis dahin erlebt?

Mina Teichert: Als schrecklich. Ganz offensichtlich war bei mir etwas anders, ich fühlte mich ungenügend und immer ein bisschen drüber. Es hat mir persönlich gut getan zu erfahren, warum das so ist, dass die Gründe meiner Verpeiltheit in einem fehlerhaften Hirnstoffwechsel zu finden sind und ich nichts dafür kann, dass ich nicht, wie mir oft von anderen vorgeworfen wurde, ignorant, faul oder doof bin.

 

Die Pubertät mit der ersten grossen Liebe und all dem Gefühlschaos beschreiben viele als turbulente Zeit. Wie hast du diese Phase erlebt?

Mina Teichert:  Oh Gott, als heilloses Durcheinander. Meine Sinne spielten verrückt, meine Gedanken waren noch unkontrollierter, von den Gefühlen ganz zu schweigen. Ich war mir selbst viel zu viel, wie müssen sich die anderen in meinem Umfeld erst gefühlt haben …

 

Wenn ich mich für jemanden interessiere, knallt es mir in Millisekunden die Synapsen weg. Das ist sehr problematisch…  

Mina Teichert

 

Würdest du sagen, dass du dich schneller verliebst als «Normalos»?

Mina Teichert : Ich würde sagen, eher schlagartiger. Wenn ich mich für jemanden interessiere, knallt es mir in Millisekunden die Synapsen weg. Das ist sehr problematisch.

 

In einem Kapitel beschreibst du, wie du in einem Ferienhotel als Jugendliche mit drei Jungs gleichzeitig anbandelst. Und eigentlich bricht der Strom an neuen Bekanntschaften ab da nicht mehr ab. Hat dich dein ADS waghalsiger gemacht oder freier in der Kontaktaufnahme?

Mina Teichert:  Mein ADS-Naturell hat mein damals noch unbekümmertes Ich durchaus in prekäre Situationen gebracht, da ich nie etwas Böses erwartete. Wieso auch? Ich war ja selbst eher nett und vermutete, dass alle so authentisch und arglos sind, wie ich selbst. Heute bin ich zwar immer noch relativ zutraulich, aber manchmal auch ängstlich neuen Menschen gegenüber.

 

«Ich hasse die Liebe und die Liebe hasst mich» verkündet dein jüngeres Ich nach einer weiteren Bruchlandung. Hast du aus den Enttäuschungen Lehren ziehen können?

Mina Teichert: Lustige Frage. Ich schätze, ich fasse nicht mehr direkt nach der heißen Herdplatte. Und ich kann sagen: Sex hat nichts, aber auch gar nichts mit Liebe zu tun. Für die meisten zumindest.»

 

Welche Tipps möchtest du verliebten AD(H)Slern ans Herz legen?

Mina Teichert: Bleibt bei euch, verliert euch selbst nicht aus den Augen! Gebt euren Gefühlen und neuen Eindrücken genügend Raum und atmet einmal mehr durch. Denn gut Ding will Weile haben, das hat meine Oma schon gesagt. Überdenkt eure ersten Impulse etwas zu tun und versetzt euch in euer Gegenüber hinein, damit ihr nicht übers Ziel hinausschiesst. Ansonsten bleibt kreativ und fröhlich und geniesst diesen sauerstoffarmen Zustand des Verliebtseins. Es ist und bleibt doch irgendwie ein Geschenk.

 

Es lebe die Liebe und falls ihr doch mal abstürzt, so ein Fallschirmsprung kann auch eine positive Erfahrung sein!

Das Interview wurde vom Verlag geführt.

Mina Teichert wurde 1978 in Bremen geboren. Sie war mehrere Jahre erfolgreich als Fotografin tätig, bevor sie über Umwege zum Schreiben kam. Heute ist sie hauptberuflich Autorin und kann auf mehrere Veröffentlichungen, darunter der Spiegel-Bestseller «Neben der Spur, aber auf dem Weg», zurückblicken. Mit ihrem Mann und ihrer 16-jährigen Tochter lebt sie auf dem Land.