Der Füllfederhalter - ein Stück Schreibkultur

Goethe schrieb weit lieber mit einem Bleistift als mit der Feder. Alexander Dumas der Ältere hätte dagegen auf keinen Fall auf seine Gänsefeder verzichtet, obgleich zu seiner Zeit Stahlfedern modern wurden. Colette verwendete ausschliesslich Füller und blaues Papier. Schreibgeräte sind Spiegel der Persönlichkeit und unentbehrliches Instrument im kreativen Schaffensprozess.

 

Ob einfach oder kostbar – Schreibgeräte haben stets eine besondere Bedeutung. Sie begleiten unsere Finger bei den ersten ungeschickten Versuchen, etwas zu Papier zu bringen. Allmählich haben wir entdeckt, welche Freiheit uns diese wunderbaren Instrumente schenken. Mit einem nur wenige Gramm schweren Kugelschreiber können wir kilometerlang schreiben; mit einem einfachen Bleistift alles ausdrücken und den endlosen Raum eines weissen Blatt Papiers zu einem Teil unserer selbst machen. Etwas mit der Hand zu schreiben ist immer auch ein bisschen Zauberei – und nach wie vor die beste Art, anderen kleine Zeichen unserer Zuneigung zu geben. Zeichen besonderen Ausdrucks, die man immer wieder lesen kann.

 

Der Füller – ein luxuriöses Schreibutensil

Der Füllfederhalter ist eines der ersten „idealen Schreibgeräte“ der Kultur des Schreibens. Eine Feder an einem Halter mit einem eingebauten Tintenhalter – einfach und genial. Wir können ihn nur für kurze Zeit behalten oder aber ein Leben lang. Der Füllfederhalter ist ein sehr persönliches Stück, das man nicht verleiht, aus Angst, seine Feder könnte unter einer fremden Hand leiden. Damit die Feder zu etwas Lebendigem wird, muss man erst einmal etliche Seiten mit ihr beschriften; sie ist ein Werkzeug, das sich nur langsam an uns gewöhnt. Wenn wir allein sind, kann ein Füllfederhalter unser einziger Vertrauter sein. Es ist angenehm, ihn in die Hand zu nehmen, auch wenn wir mit seiner Hilfe nur einen Termin notieren oder eine kurze Notiz kritzeln. Ob einfaches Gerät oder luxuriöses Schreibutensil, ob klassisch und elegant oder bunt und frech, ein Füllfederhalter ist immer etwas Besonderes, Geheimnisvolles, so als ob in seinem Bauch nicht nur Tinte wäre, sondern auch unsere Gedanken. Füllfedern verschenkt man auch gern, so wie man sie selbst gern geschenkt bekommt.

            New York 1884: L. E. Waterman verwirklichte eine Idee, auf die vor ihm noch kein Mensch gekommen war. Ein Tintenleiter, der so viel Tinte in die Feder einfliessen liess, wie Luft in den Tank eindrang. Dieses neue System ermöglichte es endlich, ohne Unterbrechungen und gleichmässig zu schreiben – mit dem „Ideal Fountain Pen“, dem Federhalter mit Tintenreservoir, an dessen Prinzip in Amerika schon seit einem halben Jahrhundert herumgetüfftelt worden war. Lewis Edson Waterman hatte die Füllfeder erfunden.

 

Der Kugelschreiber

Konnten die Erfinder des 19. Jahrhunderts ahnen, dass eines Tages an die Stelle ihres revolutionären Füllfederhalters ein Schreibgerät treten würde, dessen Geheimnis eine winzige Kugel ist? Ende der fünfziger Jahre machte der Mensch sich auf, den Weltraum zu entdecken. Die ersten Raketen drangen ins All vor. In witzigen Werbezeichnungen des französischen Grafikers Jean Effel wurde aus dem Sputnik der bekannte BIC-Kugelschreiber. Plötzlich hielten ihn sogar alte Lehrer in der Hand, die doch eigentlich die Tradition hätten bewahren müssen; aber es schrieb sich mit ihm so leicht! Zwar konnte er nicht das Weltall erobern, die Welt aber lag ihm bald zu Füssen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wurde ein Schreibgerät in nahezu allen Ländern der Erde populär. Der Kugelschreiber hat sich nicht nur auf allen Kontinenten, sondern auch bei Angehörigen der verschiedensten Schichten als universelles Utensil durchgesetzt.

 

Schreibgeräte der Zukunft

Der Computer ist die bisher letzte Revolution in der Welt des Schreibens. Der Text bleibt auf Festplatten und Disketten verborgen; die Rechenmaschine speichert ihn, bringt ihn aufs Papier, liefert einen druckfertigen Satz. So kommen uns heute die Bemühungen der Hand lächerlich vor, sie wird nie die Geschwindigkeit des Computers erreichen; und wenn wir daran denken, wie schnell ein Telefonanruf, ein Fax, ein E-Mail ist, erscheint uns die lange Reise eines Briefes vom Absender zum Empfänger geradezu absurd. Trotzdem: Die neu erwachte Begeisterung für die Kalligraphie verrät, dass das Schreiben mit der Hand noch lange nicht aus der Mode kommen wird. Angesichts eines Alltags, in dem alles von Tag zu Tag schneller vonstattengeht, ist „Schreiben eine Kunst der Geduld ..., bei der es keine Abkürzungen gibt“, um den Kalligraphen Hassan Massoudy zu zitieren. Diese Renaissance zeigt, dass das Schreiben von Hand ein intellektuelles, sicher aber auch ein körperliches Bedürfnis ist. Schreiben wirkt sich auch auf unser seelisches Gleichgewicht aus.

 

Geschichte der Schreibgeräte

Um 20 000 vor Christus: Der Mensch „schreibt“ mit seinen Händen. Erste Höhlenmalerei Um 3000 vor Christus: Mit Griffeln wird auf Tontafeln geschrieben; Keilschrift der Sumerer in Mesopotamien; Hieroglyphen auf Papyrus in Ägypten Um 2000 vor Christus: Chinesen erfinden eine Tinte aus Russ und Pflanzensäften Um 800: Im gesamten Abendland wird mit der Gänsefeder geschrieben 1795: Der moderne Bleistift mit Graphitmine wird vom Franzosen Nicolas Conté erfunden. 1845: Thurber entwickelt in den USA die erste Schreibmaschine 1884: L. E.Waterman erfindet den Füllfederhalter 1938: Lászlo Biró perfektioniert den Kugelschreiber 1963: Filzschreiber kommen auf 1981: Rollerballs (Kugelstifte mit flüssiger Tinte) kommen auf Heute: Computer spielen in der Welt des Schreibens eine immer wichtigere Rolle

Literaturtipp:

Feder, Tinte und Papier die Geschichte schönen Schreibgeräts

Eric Le Collon

 

Gerstenberg Verlag