Alte Gemüsesorten jung aussehen lassen

Mit blossen Händen gräbt Marcel Heinrich auf seinem Acker in der Erde und bringt Vergessenes zum Vorschein: «Wer kennt heute noch Parli oder Vriner?» Noch vor wenigen Generationen kam beides fast täglich auf den Teller. Doch wie viele andere Gemüsesorten gerieten auch diese Kartoffeln in Vergessenheit. Das hat vor allem mit dem Begriff zu tun, den es zu jener Zeit noch nicht gab: Globalisierung.

 

Alte Gemüseraritäten erleben heute eine Wiedergeburt. Landwirt Marcel Heinrich trägt mit seinem Biohof Las Sorts im bündnerischen Filisur ein Stück weit dazu bei. 2002 starteten Sabina und Marcel Heinrich mit einem Versuchsfeld. Das Saatgut bezogen sie von Pro Specie rara. «Die Kartoffeln eignen sich recht gut für den Anbau im Berggebiet», erklärt Marcel Heinrich. «Der Boden hier ist eher sandig und steinig, gut besonnt und das Gelände ist bewässerungsfähig.» Zudem sei auf einer Höhe von 1000 Metern die Gefahr von Krautfäule nicht so ausgeprägt. Doch das Produzieren auf dieser Höhe erfordert viel Fingerspitzengefühl, denn Erfahrungen und Informationen sind Mangelware. Positive Erfahrungen haben Heinrichs mit der alten Bündner Kartoffelsorte Parli gemacht.  Auch rotfleischige Sorten, wie etwa Burgundy Red gedeihen gut, ebenso die Blauen Schweden und Russischen Violetten. Neben Parli hat die Familie Heinrich noch andere einheimische alte und vom Aussterben bedrohte Sorten von Pro Specie rare weitervermehrt, darunter Vriner, Safier, Tennaer und Vitelotte. Letztere ist durch seine Trüffelform und seinem Geschmack nach Maroni sehr begehrt, liefert aber nur wenig Ertrag ab. Gut schmecken die Acht-Wochen-Nüdeli, die allerdings sehr rasch geerntet und sofort gelagert werden müssen, damit sie sich nicht grünlich verfärben.  Nicht weniger als 20 verschiedene Kartoffelsorten sind es, die Marcel Heinrich auf einer Fläche von rund zwei Hektaren kultiviert. Gegen 30 Tonnen werden teilweise von Hand geerntet, weil einige Sorten nicht vollerntetauglich sind. Die Kartoffelsorten aus vergangenen Tagen werden direkt ab Biohof vermarktet. Eine Art Alternativprogramm zum Normgewächs aus dem Supermarkt, wie Marcel Heinrich betont: «Ich will darauf aufmerksam machen, welche Vielfalt es an Gemüse gibt.» Den Weg in die Spitzengastronomie und die Delikatessengeschäfte ebnete Koch und Genusstrainer Freddy Christandl. Für Marcel Heinrich ist es wichtig, sich von den industriell genormten Pflanzen zu unterscheiden. Um solche regionale Züchtungen ist auch Béla Bartha, Geschäftsführer von Pro Specie rara bemüht. «Alte Gemüsesorten bedeuten Sorten-, Farben- und Geschmacksvielfalt. Jede Sorte schmeckt anders. Das liegt auch daran, dass sich alte Gemüsesorten über Jahrhunderte an ihre Lebensbedingungen, wie Klima und Boden angepasst haben.» Und diese Charakteristik merkt man auch. Neue Züchtungen lassen diese Geschmacksvielfalt meist vermissen. Sie müssen vor allem markttauglich sein. Sie müssen lagerfähig sein. Sie müssen gleichmässig gross sein. Im letzten Jahrhundert sind gegen 250‘000 Pflanzenarten verschwunden. Eine Vielfalt an Pflanzen, Biodiversität genannt, ist aber lebensnotwendig. Die kann durch den Anbau alter Gemüsesorten wieder gefördert werden. Und auch wir können dazu beitragen, indem wir Gemüseraritäten wieder auf unsere Teller holen. Beim heimischen Gemüse gibt es einige alte Sorten wieder zu entdecken. Lassen wir uns auf die Gemüseraritäten ein. Es ist ein Abenteuer. Ein Ausflug nicht nur in die Vielfalt sondern in den Genuss hinein.   

 

Orange Plum und Berner Rosen

Rund 30 Tomatensorten werden im Bioland im zürcherischen Steinmaur angepflanzt. Die Landwirte Stephan und Daniel Müller bauen Sorten an, welche sich durch ihren Geschmack auszeichnen. Neben alten Kartoffelsorten wachsen auf den 75 Hektaren Land, einem der grössten Biohöfe der Schweiz, Tomaten.

 

Die Berner Rose schmeckt süss und würzig. Ihr Fruchtfleisch zergeht auf der Zunge und die weiche Schale ist sehr dünn. Charakteristisch ist die namensgebende, rosarote Farbe.

Eine weitere alte Sorte ist die Cherrytomate Orange Plum – eine dunkelrote Eiertomate.

Pflaumentomaten haben eine typische ovale Form und sind häufig gespitzt am Ende. Sie haben ein feines, festes Fruchtfleisch und wenig Flüssigkeit. Dadurch sind sie besonders gut geeignet für Saucen, da sie schnell einkochen. Pasta- und Pizzaliebhaber bevorzugen diese Tomatensorte, weil sie aufgrund des festen Fleisches beim Schneiden in Scheiben gut in Form bleiben. Die Pflaumentomaten sind erfrischend süss-sauer im Geschmack.

 

Vom Aussterben bedrohte Sorten

 

Jede Gemüsesorte, deren Samen in den Handel kommt, muss offiziell zugelassen werden. Das ist teuer, aufwendig und lohnt meist nur, wenn Saatgut in grossen Mengen verkauft werden soll. Zwar gibt es Ausnahmegenehmigungen für traditionelle Sorten, doch gelten viele Auflagen, die es den Erhaltern schwermachen, sie im grossen Stil zu vermarkten. So bestimmen die grossen Mitspieler in der Agrarindustrie, was erhältlich ist und was nicht. Durch die Industrialisierung der Landwirtschaft wurden die zahlreichen, seit Jahrhunderten angebauten Gemüsesorten von nur wenigen neuen, ertragsreicheren Hybriden verdrängt. Damit verschwanden ganze Geschmacksrichtungen, aber auch die Möglichkeit, Pflanzen selbst im Garten zu vermehren. Hybriden bilden zwar Samen, doch wer sie aussät, erhält meist andere Gewächse als erwartet. Übrigens der 3. September ist der offizielle Tag des Gemüse.