Das ultimative Wiener Schnitzel

Das Wiener Schnitzel, geboren in Byzanz, aufgewachsen in Mailand (Costolleta alla Milanese), vollendet in Österreich, ist ein Küchenklassiker und insofern unsterblich. Es hat Kriege überlebt, schlampige Köche und auch die Nouvelle Cuisine, deren Interpreten in ihrem Dünkel alles Panierte als rustikal abgelehnt haben, was sie jedoch nicht daran gehindert hat, sich heimlich in gutbürgerlichen Gasthöfen an eben dem Wiener Schnitzel zu delektieren.

 

Weil das Wiener Schnitzel nie wirklich out war, kann man nicht von einem Comeback sprechen. Sogar in weltberühmten Restaurants wie beispielsweise bei Alain Ducasse in Monte Carlo werden kleine Wiener Schnitzelchen als Minis vorweg serviert. Österreichische Spitzenköche haben unter ihren Gästen zunehmend deutsche und Schweizer Kollegen beobachtet, die ein «Wiener» ordern und sich dann detailliert nach der Rezeptur erkundigen.

 

Ein gutes Wiener Schnitzel ist zwar kein Kunststück, aber einige Richtlinien sollten schon beachtet werden. Zum einen wird jeder Klassiker wieder mal verfälscht – sei es, dass die Friteuse benutzt wird oder das Fleisch vom Schwein statt vom Kalb stammt. Zum anderen gibt es verhunzte Wiener Schnitzel, die gebackenen Brettern ähneln, vor Fett triefen oder zu dünn geklopft sind wie eine Briefmarke. Damit jeder mitreden kann, soll hier das Rezept von Tante Therese verraten werden, die es wiederum von Marie übernommen hat, einer jener legendären böhmischen Köche, dernen Kunst die altösterreichische Küche zum Blühen gebracht hat. Den Anfang jedes richtigen Wiener Schnitzels bildet das Kalbfleisch; am besten eignet sich die Keule. Weil gutes Kalbfleisch selten geworden ist, muss man sich den Metzger genau aussuchen. Das Schnitzel soll – unter einer Klarsichtfolie – leicht geklopft werden, danach etwa vier bis sechs Millimeter dick sein. Die Ränder etwas einschneiden, das Fleisch diskret salzen, beidseitig mit Mehl bestäuben, durch verquirltes Ei ziehen, in der Panier aus Semmelbrösel wälzen, dabei die Brösel zart andrücken.

 

Tante Therese schlug die Eier (zwei Stück für vier Schnitzel, die insgesamt 600g wogen) mit der Gabel auf, der Mixer war verpönt. Zusätze wie Milch oder Öl lehnte sie als unartig ab. Die Brösel wurden selber von Semmeln oder Weissbrot gerieben, weil sie sicher sein wollte, dass sich darunter kein Restgebäck wie solches von dunklem Brot befindet. Als Trickserei verworfen wurde auch der Brauch mancher Köche, das verquirlte Ei mit einem Schuss Wasser zu versehen. Das soll angeblich den begehrten Faltenwurf beim Schnitzel begünstigen.

 

Gebraten wird das fertig panierte Schnitzel bei hoher Hitze in einer schweren Pfanne mit reichlich Schweineschmalz. Das Schnitzel muss darin schwimmen, das Fett während des – je nach Fleischdicke dreibis fünfminütigen - Garprozesses immer wieder über das Schnitzel schwabben, das durch rhythmisches Schütteln der Pfanne ständig in Bewegung gehalten werden soll. «Schupfen», nannte Tante Therese dieses kurze und herrische Hin- und Herziehen der Pfanne, das den sogenannten Soufflé-Effekt erzeugt. Wenn die Panier, die übrigens niemals kleben darf, sondern sich wellenartig vom Fleisch lösen muss, farblich dem tiefen Goldbraun einer Stradivari gleicht, ist das Wiener Schnitzel fertig. Nun mit Küchenkrepp das überschüssige Fett sauber abtupfen. Serviert wird das Wiener Schnitzel klassisch mit Zitronenspalte sowie etwas Petersilie. Als Beilagen wählte Tante Therese entweder in Butter gewälzte Petersiliekartoffeln und grünen Salat oder nur lauwarm angerichteten Erdäpfelsalat. Preiselbeerkompott, Gelees oder Sardellenfilets kamen als überflüssiger Tand nicht in Frage.

 

 

Dazu getrunken wurde entweder Champagner wie der Cristal von Roederer, Schlumberger Brut, eine reife Riesling Spätlese oder Grüner Veltliner aus der Wachau. Letzteres ist eine besonders gute Wahl, wenn es sich um einen Spitzenwein der Kategorie Smaragd von Emmerich Knoll, F.X. Pichler oder Leo Alzinger handelt. Mit einem Grünen Veltliner zum Wiener Schnitzel isst und trinkt man sozusagen Ton in Ton.