Essig ist längst nicht gleich Essig

«Sauer macht lustig», sagte ein Koch und setzte der Sauce zum Hasenrücken noch einen Schuss Weissweinessig zu. Das war ein gutes Werk: Einerseits ist Essig ein köstliches Würzmittel, für Salate, Marinaden und Saucen ebenso unentbehrlich wie fürs Einlegen von Gemüse oder das Verfeinern von Eintöpfen. Und andererseits hat die Wissenschaft längst nachgewiesen, dass Saures positiv die für Stimmungen zuständige Körperchemie zu beeinflussen vermag. Essig, so steht’s schon in alten medizinischen Schriften, wirkt nicht nur desinfizierend, schmerzstillend, entspannend, verdauungsfördernd, fettabbauend und konservierend, sondern auch antimelancholisch. Er verscheucht düstere Gedanken wie Winde den Nebel. Allerdings bringt solche Wundertaten nur erstklassiger Essig zuwege.

 

Essig ist nicht gleich Essig, da gibt es in Geschmack und Qualität grosse Unterschiede wie zwischen einer Petersilie und einer Palme. Hochprozentiger Spritessig taugt von seiner radikalen Schärfe her eigentlich nur zur Beseitigung von Flecken. Zwar gibt es noch Köche, die ihn, reichlich verdünnt, verwenden. Das Ergebnis sind die in Fluten von Essigwasser schwimmenden Salate. Aber mit guter Küche hat das natürlich nichts zu tun, was umso bedauerlicher ist, weil in den letzten Jahren auch in der Schweiz eine wahre Essigkultur erblüht ist. Kaufhäuser, Supermärkte, Weinhandlungen, Feinkostläden sogar Restaurants: sie alle führen Essig-Sortimente.

 

Bei diesem grossen Angebot sich auszukennen, ist nicht einfach. Neben Grundsorten wie Weinessig, Branntweinessig, Obstessig, Sherryessig, Malzessig und Reisweinessig gibt es zahlreiche Spielarten, versetzt mit Blumen, Kräutern, Früchten und Gewürzen. Die Vielfalt ist verwirrend, aber reizvoll für den, der weiss, dass sich beispielsweise Estragonessig besonders gut zu Sauce Béarnaise macht, Cidre-Essig jeden Obstsalat verbessert, Kräuteressige zu Gemüseragouts passen, Schalottenessig das Aroma der Buttersauce hebt, Himbeeressig fein mit Wildgerichten harmoniert, Sherryessig bei Rind und Geflügel das Aroma unterstreicht. Kräuteressige sollten freilich stets diskret eingesetzt werden. Weinessig: Für den anspruchsvollen Koch kommt nur der reine Weinessig in Frage, hergestellt aus mildem Weisswein oder kräftigem Rotwein.

Branntweinessig: Gewonnen durch Destillation (z.B. Kartoffeln, Korn). Geeignet fürs Einlegen von stark wasserhaltigen Früchten (Mixed Pickles).

Kräuteressig: Am besten sind die mit echtem Weinessig als Basis. Es gibt zahlreiche Varianten; der Klassiker ist der Estragonessig.

Obstessig: Aus Most gewonnen, zumeist aus reinem Apfelwein. Oft mit Honig verfeinert (wie der französische CidreEssig). Es gibt ihn auch aus Beeren und anderen Früchten. Je nach Obstsorte mild bis aromastark.

Sherryessig (spanischer Klassiker): Die besten sind aus reinem Sherry gewonnen. Wegen des kräftigen Aromas sollten sie sparsam eingesetzt werden.

Malzessig: Üblicherweise aus Bier hergestellt und mit Karamell gefärbt. Er eignet sich als Wildbeize.

 

Aceto Balsamico: Der echte Balsamico wird aus gekochtem Traubensaft gemacht, der wenigstens zwölf Jahre lang in Fässern aus verschiedenen Holzarten reift. Das ist der «Tradizionale», eine Kostbarkeit, für zirka 150 Franken pro Deziliter. Einfacher Balsamico reift nur kurz und wird mit Karamell sowie diversen Aromaten eingekocht. Solche Fliessbandprodukte schmecken vordergründig süss, klebrig.