Weisse Trüffel

Krönung kulinarischer Lust

Sie ist der Triumph des Seins über den Schein, die auf die Spitze getriebene Philosophie vom edlen Kern in banaler Schale: Die weisse Trüffel namens «Tuber magnatum Pico», kurz Alba-Trüffel genannt nach dem Örtchen im Piemont, wo sich jetzt die Hochsaison für diese Erdpralinen langsam dem Ende zuneigt, aber gemach: Bis zum Jahresende wird es noch erstklassige Knollen geben, bevor die weisse Trüffel der schwarzen Platz macht. Bereits der erste Nasenzug offenbart dem Kenner durch den höchst eigenwilligen, einer Explosion gleichenden Duft, dass es sich bei der weissen Trüffel um ein Naturwunder handelt, eine kulinarische Majestät, nach der die Trüffelsucher mit ihren Mischlingshunden seit Herbstbeginn jagen. Im Gegensatz zur schwarzen Trüffel, deren beste Zeit von Dezember bis März ist, haben die schrundigen, milchteefarbenen weissen Knollen von Oktober bis Dezember ihre beste Zeit, mitunter bis in den Januar hinein.

 

Läge das Ding zufällig am Boden, würde man es geringschätzig wegtreten, achtlos, denn es gleicht einer verschrumpelten Kartoffel. Was zwischen fünf und dreissig Zentimeter unter der Erde in Symbiose mit trüffelfreundlichen Gehölzen wie vornehmlich Eiche, Haselnuss, Pappel, Linde, Weide – man kann auch sagen: schmarotzend – wächst und von Hunden aufgestöbert wird, ist Luxus, teurer als Kaviar. Der die weisse Trüffel umwehende Mythos zeigt sich marktgemäss im Preis: für Trüffel gelten Tagespreise.

 

Die Nachfrage ist international so gross, dass die Trüffelhändler keine Absatzsorgen kennen. Traditionelle Vorlieben der Altreichen und die steigende Begehrlichkeit der Neureichen aus Russland, Asien, den USA, der Schweiz und Deutschland heizen die Preise an, und jeder praktizierende Gourmet möchte wenigstens einmal in der Saison ein Essen mit weissen Trüffeln geniessen. Es gibt Süchtige, die reisen extra nach Alba, in die Hauptstadt der weissen Trüffel, wo im Spätherbst die Feste zu Ehren dieses speziellen Pilzes gefeiert und Tonnen an Pasta damit veredelt werden.

 

Der Alba-Trüffel ähnlich sind die weissen Trüffeln aus anderen italienischen Regionen wie Umbrien, Venetien, Ligurien, der Toskana, Lombardei, den Marken, Abruzzen und Kampanien. Auch Istrien im nordwestlichen Kroatien - vor allem der Motovuner Wald sowie das Mirna-Tal - ist eine ergiebige Trüffelregion. Der Piemontese wird diese Trüffel zwar niemals als gleichwertig zu den seinen anerkennen, aber offiziell nicht zur Kenntnis genommene und kaum beweisbare Tatsache ist, dass mittelitalienische und istrische Trüffel auch als «Alba-Trüffel» gehandelt werden. Selbst Kennern fällt es schwer, rein oberflächlich eine Unterscheidung vorzunehmen. Ganz anders verhält es sich mit der sogenannten «Deutschen Trüffel» (Choiromyces Meandriformis), die von manchem unwissenden Journalisten pompös als Sensation gefeiert wird: Die ähnelt äusserlich dem Alba-Original, doch fehlt dieser Karikatur jeglicher kulinarische Reiz; im Gegenteil, die Besonderheit dieser Art liegt allenfalls in einer stark abführenden Wirkung. Entgegen immer noch zu hörender Meinungen werden Trüffel, schwarze wie weisse, seit längerem erfolgreich kultiviert, in Italien ebenso wie in Spanien, Frankreich oder Australien. In einer Art künstlichen Befruchtung werden die Wurzeln von trüffelfreundlichen Baumsprösslingen mit Trüffelsporen geimpft, mykorrhiziert sagen die Gärtner. Diese Setzlinge verbringen ihre ersten Lebensjahre in keimfrei gemachter Erde in Treibhäusern und werden dann in geeignete Landschaften umgepflanzt. Sechs bis zehn Jahre später sollen diese Trägerpflanzen erstmals trächtig werden, was zwar nicht bei jedem Modell funktioniert, aber wenn sich eines Tages im Umkreis der jungen Bäume das Gras bräunlich verfärbt, dann wissen die Kundigen, dass unterirdische Trüffeln am Werk sind.

 

Jetzt muss der Schatz nur noch gehoben werden. Früher einmal geschah dies mit Hilfe von Schweinen, notabene weiblichen Säuen, denn der Trüffelduft enthält einen dem männlichen Geschlechtshormon verwandten Stoff, ein Steroid, der auch in den Keimdrüsen des Mannes produziert und mit dem Schweiss der Achseldrüsen ausgeschieden wird. Dies nährte seit altersher die Ansicht von der aphrodisischen Wirkung der Trüffel. Die gleiche moschusartige Substanz verströmt in seiner sogenannten «Rauschzeit» der liebeshungrige Eber, was wie ein Reizstoff auf die weiblichen Schweine wirkt, die ja mit einem exzellenten Riechvermögen ausgestattet sind. Das Problem für die Trüffeljäger lag allerdings darin, dass die Schweine selber höchst begierig auf den Trüffelgenuss sind und die Knollen, sofern sie nicht mit Gewalt daran gehindert werden, flott verspeisen, weshalb inzwischen längst Hunde für die Suche eingesetzt werden, insbesondere gewiefte Mischlinge, die sich nach intensiver Abrichtung äusserst erfolgreich im Suchen der Luxusknollen erweisen – und mit einem Stückchen Wurst als Leckerli zufrieden sind.

 

Die Haut der Alba-Trüffel kann glatt sein wie ein rasierter Sellerie, aber auch leicht schrundig mit Einkerbungen. Ihre Farbe gleicht der eines Milchtees. Für den Kauf gibt es ein paar Richtlinien, die vor schlechter Ware schützen. Ist die Knolle zu hart, deutet das auf Unreife hin, fühlt sich die Trüffel hingegen weich an, vielleicht sogar ein bisschen feucht, gar matschig, dann ist sie überaltert, jedenfalls falsch gelagert. Das Innere soll beige oder hellbräunlich bis rosafarben schimmern und mit feinen weissen Adern durchzogen sein. Glänzt das Innere allzu einfärbig, geradezu strahlend weiss, dann ist Vorsicht angebracht, denn vermutlich handelt es sich um eine weisse Frühlingstrüffel, auch Bianchetti oder borchii genannt (Tuber albidum Pico), die deutlich nach Knoblauch düftelt, der jedoch das suggestive und vielschichtige Aroma der Wintertrüffel fehlt. Dafür kostet sie auch «nur» um die sechs- bis siebenhundert Euro pro Kilo.

 

Das Aroma der wahrhaftigen Alba-Trüffel ist derart konzentriert, dass es einem fast die Besinnung nimmt. Und darin liegt auch die feinschmeckerische Kraft der weissen Trüffel. Die schwarze Périgord-Trüffel ist in der Küche vielfältig einsetzbar. Man kann sie roh auf Butterbrot essen, in heisser Asche backen oder in Rotwein dünsten und tausend andere leckere Sachen mit ihr anstellen. Sie parfümiert Terrinen, hebt Saucen, schmeckt in Salaten und bereichert Fleisch. Der Wert der weissen Trüffel liegt ausschliesslich in ihrer geradezu unbändigen Würzkraft. Sie wird weder gekocht noch gebraten, sondern roh und fein über die jeweilige Speise gehobelt, beispielsweise über ein auf cremigen Spinat gebettetes Spiegelei – ein schlichtes Gericht, das durch die Trüffel seine höheren gastronomischen Weihen bekommt. Ideal entfaltet sich die Kraft der Trüffel in Verbindung mit warmen und feuchten Gerichten wie Sahnenudeln, Risotto, Käsesoufflé, Suppen und cremigen Saucen. Eierspeisen oder ein Carpaccio vom Rind gewinnen ebenfalls durch die Trüffelung, und eine herrliche Dreierbeziehung besteht aus gebratenem Kalbsbries, Spinat im Nudelblatt und weissen Trüffeln nebst einigen hauchdünn frittierten Streifen von der Sellerie, die für leises Knistern sorgen.

 

Keinerlei Einfluss auf Duft sowie Geschmack hat die Form der Knolle, tatsächlich kennt man keinen «goldenen Schnitt» bei der weissen Trüffel. Es gibt Exemplare, die gleichen flachen Kürbissen, andere sind wunderschön oval geformt wie Eier, rund wie Haselnüsse, klobig wie Erdäpfel oder niedlich wie Maronen. Einzig der Preis wird auch durch das Äussere bestimmt: Ovale und schön rundlich geformte Trüffel sind teurer. Grössere Exemplare verfügen allgemein über eine dichtere Ausstrahlung als Miniknollen. Wie so oft im Leben muss für die Schönheit mehr bezahlt werden, obwohl schrundige und selbst vernarbte Stücke, an denen sich bereits Schnecken gütlich getan haben, über das gleiche intensive Aroma verfügen.

 

Am besten schmeckt eine weisse Trüffel naturgemäss kurz nachdem sie ausgegraben worden ist. Sie soll nicht gewaschen werden, abbürsten reicht. Frische Exemplare halten sich, gekühlt und eingewickelt in Zeitungs- oder Seidenpapier, etwa eine Woche lang, vielleicht ein paar Tage mehr. Ausserhalb der Saison muss man sich halt mit eingelegter Ware bescheiden: weisse Trüffel werden in Wasser und Salz konserviert, schwarze in Trüffelextrakt. Beide verfügen über einen durchaus hohen Würzeffekt. Hingegen handelt es sich bei den auch in der gehobenen Gastronomie sehr beliebten Trüffelölen in der Regel um künstlich aromatisierte, mit reichlich Geschmacksverstärker angereicherte Ware; nur wenige Trüffelöle halten, was das Etikett verspricht beziehungsweise der Erwartung gerecht wird.

 

 

Trüffelgewürzte Speisen verlangen nach kräftigen Weissweinen. Empfehlenswerte Partner sind beispielsweise ein Jahrgangschampagner, ein wuchtiger Chardonnay à la Montrachet oder eleganter Meursault aus Burgund. Ein mächtiger Grüner Veltliner aus der Wachau oder Langenlois ist nie verkehrt, ebenso passend sind ein Arneis, ein Vernaccia di San Gimignano mit seinem Hauch von Vanille, kraftvoll angelegte Grauburgunder. Und ein vorzüglicher Begleiter ist ein Nischenwein, der Neuburger, rar und wenig bekannt (beste Winzer: Feiler-Artinger im burgenländischen Rust und Sepp Mantler aus dem niederösterreichischen Gedersdorf). Ein weisser Hermitage oder Condrieu von der Rhone vermögen Trüffel gleichfalls anständig zu begleiten. Beim Wein lässt sich ein bisschen experimentieren, hingegen sollte man kompromisslos beachten, dass es bei der Trüffel nicht mit Spurenelementen getan ist. Es muss üppig getrüffelt werden nach dem klassischen Genussprinzip: wenn schon, denn schon!